Egon Schiele, Stehender Akt mit orangem Umhang, 1914, Kohle und Wasserfarbe auf Papier Fine Art, Quelle: MET Museum NY, CC0

29. April 2020

Gustav Klimt und Egon Schiele – Sex, das Virus und die Strafe Gottes 

Vor etwas mehr als hundert Jahren wütete in Europa die Spanische Grippe. Höchstwahrscheinlich starb Gustav Klimt daran, jedenfalls an einer grippösen Lungenentzündung. Als Hypertoniker erlitt er mit 56 Jahren einen Schlaganfall, im Spital infizierte er sich vermutlich mit diesem Virus. Egon Schiele starb im zarten Alter von achtundzwanzig Jahren an der Spanischen Grippe – ohne Vorerkrankung. Recherchieren wir in Zeiten von Covid-19, sind wir unmittelbar versucht, Parallelen zu erkennen, zumal zwei der Hauptprotagonisten der Wiener Secession an «Corona-Ähnlichem» starben.

Damit wäre das mit dem Virus geklärt. Was aber hat es mit dem Sex auf sich? Dazu muss man die Zeit um etwas mehr als hundert Jahre zurückdrehen. Wien war damals multikulturell wie kaum eine andere Stadt in Europa. Sie zog die intellektuelle Avantgarde magisch an, die versuchte die überkommenen Konventionen und verkrusteten Moralvorstellungen abzuschütteln. Dazu gehörten auch rigide Vorstellungen bezüglich Sexualleben. Gustav Klimt war unverheiratet, unterhielt aber offensichtlich intime Beziehungen zu Damen der Wiener Oberschicht. Dazu gesellte sich sein skandalöser Malstil. Erotische Zeichnungen von Klimt wurden teuer gehandelt, allerdings nur unter der Hand. Kein Wunder, war er der konservativen Bürgerschicht und dem Klerus ein Dorn im Auge. Unter diesen Umständen lag es nahe, seine Lungenentzündung als gerechte Strafe Gottes zu verklären. 

Dem einiges jüngeren Egon Schiele erging es nicht viel besser. Drei Tage nach dem Tod seiner schwangeren Frau, erlag auch er der Spanischen Grippe. Bereits sein Vater starb an Syphilis, da konnte doch der Apfel nicht weit vom Stamme fallen. Man sah es an seinen erotischen Malereien und Zeichnungen, die waren genau so begehrt wie die von Klimt und genauso verfemt. Na also, die gerechte Strafe folgt sogleich. Die Kunsthistoriker/innen von heute sehen Klimt und Schiele in einem ganz anderen Licht, glücklicherweise. Freuen wir uns an den unvergleichlichen Bildern und dem Genie der beiden Ausnahmekünstler.

Noch etwas zum Schmunzeln; ein Auszug aus einer neueren Schiele-Biografie von Patrick Karez:
«Der ja nun das Gymnasium besuchte. Der sollte gefälligst Latein pauken. Und sich besser in Algebra üben. Als in Schattenwürfen. Und in perspektivischer Darstellung. Das war nämlich brotlos. Das hatte keine Zukunft. Damals. Wie heute. Benötigt die Gesellschaft keine Künstler. Sie stehen ganz unten. In der Hierarchie. Diese ewigen Versager. Diese ewigen Arbeitsverweigerer. Suspekt waren sie. Schon immer. Und doch. Ist eine Gesellschaft nichts wert. Ohne Künstler. Die nachdenken. Und kritisieren. Was die anderen nicht wagen. Die ihrer täglichen Beschäftigung nachgehen. Wie Schafe. Die vom System zeitgerecht eingefangen wurden. Und die es niemals riskieren würden. Dieses System zu kritisieren. Künstler waren immer schon Kritiker vorherrschender Systeme. Revolutionäre. Aufrührer. Aufwiegler. Sie waren unbequem. Schon immer. Aber umso mehr. Um die Jahrhundertwende. Wo die Künstler plötzlich eine Eigenständigkeit entwickelten. Eine Eigendynamik. Die den herrschenden Klassen suspekt war. Also dem Staat. Dem Bürgertum. Den Eltern. Und den alten Witwen. Die ebenjene beherbergen mussten.»
Quelle: Karez, Patrick: Egon Schiele. Zeit und Leben des Wiener Künstlers Egon Schiele, 2016

Unten finden Sie ein weiteres Museums Faksimile von Egon Schiele

Egon Schiele
Stehender Akt mit schwarzen Strümpfen 
1917
Kohle und Wasserfarbe auf Papier
Fine Art Print auf Hahnemühle Papier Museum Etching 
Quelle: MET Museum NY unter CC0 Lizenz
45 x 60 cm, gerahmt
CHF 700.- mit Rahmen