30. April 2020

Fehlt der Berner Kunstszene das Feindbild?

«Früher war sogar die Zukunft besser», von K. Valentin. Jedenfalls sei früher die Kunstszene viel spannender gewesen. Eine Aussage, die wir speziell von älteren Leuten, immer wieder hören. Ist das nur nostalgisch gefärbte Schwärmerei oder ist wirklich etwas daran. Und falls ja, wann war denn früher?

Dazu der Ansatz einer Theorie. Bern ist grundsätzlich eher konservativ und gemächlich unterwegs. Bezüglich Avantgarde gab es allerdings eine Zeit, in welcher Bern der Bauchnabel der Welt für die junge Kunstszene war. Ende der sechziger Jahre spielte die Kunsthalle Bern eine führende Rolle in der Europäischen Avantgarde. Harald Szeemann hatte für die Attitüden-Ausstellung eine eindrückliche Schar von Künstlern versammelt – das damalige Aufgebot liest sich wie das heutige Who is Who der Kunstwelt. Ein beträchtlicher Teil der damals Teilnehmenden hat international Karriere gemacht. Wow, die waren alle einmal in Bern und das wirkt nach, bis heute.

Dieser «Kunstaufruhr» passte nicht so richtig ins traditionelle Bern. Die «Bourgeoisie» empörte sich, setzte sich durch und sorgte wieder für Ordnung, indem man Harald Szeemann mit seinen visionären Ideen auflaufen liess. Hinzu kamen die Angriffe seitens der in der GSMBA zusammengeschlossenen Künstler, die mehrheitlich den Kunsthalle Vorstand stellten. Einige waren durchaus angetan vom neuen Wind, aber viele fühlten sich gegenüber der internationalen Konkurrenz benachteiligt. Doch Szeemann wollte seine Dissertation schreiben, seine Ideen umsetzen – provozieren. Frustriert reichte er die Kündigung ein.

Die Berner reagierten unterschiedlich auf seinen Abgang: Einige waren froh. Die Meinung eines guten Teils der anderen drückte ein Berner Kunstjournalist so aus: «Die Kunsthalle war unter der Leitung Szeemanns hier das einzige, was das Dorf Bern mit der Welt verband. Aber offenbar möchte Bern ein Dorf sein und bleiben, dass es Szeemann nicht jene Arbeitsmöglichkeit bot, die ihn bewogen hätten zu bleiben». Toni Lienhard, «Tagesanzeiger Zürich», 5. Juni 1969

Weiter schrieb Bernhard Hahnloser im «der Bund» vom 28. September 1969: «Es kam zu bedauerlichen Nebenerscheinungen, [..] zu einem Generationenkonflikt innerhalb der Künstlerschaft, der zu Austritten aus der GSMBA führte sowie zu deren Ablehnung einer Aufnahme progressiver Künstler, welche inzwischen im In- und Ausland anerkannt worden sind (Megert, Berger, Distel, Rolf und Willy Weber, Raetz, Fivian u.a. »

Aus den «Abgelehnten» entstand eine lebhafte Untergrund-Szene, der sich auch andere progressive Künstler sowie Mäzene und Galeristen anschlossen. Die jungen Wilden liessen sich nicht so einfach bändigen, damit waren die Fronten definiert und das Feindbild lag auf der Hand: die Bourgeoisie.

Nach und nach glätteten sich die Wogen, die jungen Wilden wurden älter, die Bourgeoisie jünger und aufgeschlossener. Sie begann die Kunst der einst Jungen zu verstehen und zu schätzen, kaufte sie sogar. Die damals unverschämten Forderungen der Rebellen, nach unabhängigen Ausstellungsräumen, begannen sich zu erfüllen. Die heutige Stadtregierung war damals jung. Mittlerweile gibt es mehr als zwanzig subventionierte Off-Spaces in der Stadt.

Ganz einfach, der Pfupf ist raus, das Feindbild fehlt. Da wundert es nicht, dass manch einer wehmütig den alten, rebellischen Zeiten nachhängt. Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.

Erfahren Sie mehr im Archiv der Kunsthalle Bern