6. April, 2020
Kunst sammeln war gestern
Im Magazin «Faces» konnte man 39 Gründe nachlesen, warum man keine Kunst sammeln solle. Als Grund Nummer 19 stand da: «Männer, die Kunst sammeln, haben meistens Übergewicht, schlechte Manieren und sind oft im Bordell.» Auch der Philosoph Walter Benjamin erwähnte bereits im Jahre 1931, dass Kunstsammeln von gestern sei – er prophezeite, dass für den Sammler «die Nacht hereinbricht». Die Passion sei unzeitgemäss, der Typus des Sammlers sterbe aus. [1]
Es kommt noch übler, Christian Saehrendt sprach von der «Kunstkollektion als Persönlichkeitsprothese». Damit meinte er in seinem Beitrag in der NZZ aus dem Jahre 2017, die Sammler/innen würden bloss nach einem Ersatz für Leben und Liebe suchen und unterstellte ihnen unhehre Motive. Das Sammeln diene anderen Zwecken als der Liebe zur Kunst.
Bevor Sie nun entgeistert wegklicken – das trifft natürlich nur auf die «Anderen» zu. Denn Sie kaufen Kunst von Künstler/innen mit Bezug zur lokalen Galerie. Sie unterstützen damit Künstler/innen die Sie kennen, Sie leben ihre Passion zur bildenden Kunst, Sie integrieren ihre Werke in ihr Leben. Ihnen geht es um den Aufbau und die Pflege von Netzwerken und die Kunst ist die Luft, die sie zum Atmen brauchen und mit anderen teilen. Oder wie es Alfred J. Noll geschrieben hat: «Nur der Kunstliebhaber gibt der zur Ware verkommenen Kunst ihren sakralen Charakter zurück. Ihm ist nicht der Besitz des Kunstwerkes, sondern die Ausstrahlung das Wichtigste.»
Sammeln ohne übertriebenen Narzissmus oder einer Zwangsstörung ist das Normalste der Welt. Es ist die Neugier, die Lust auf das Unbekannte und die Freude an persönlichen Entwicklungsschritten, dem sogar die ursprüngliche Idee der Museen zu Grunde liegt: dem Anlegen von Wunderkammern. Man sammelte Kuriositäten und Raritäten, um den universalen Zusammenhang der Welt darzulegen.
Das Jagen und Sammeln stellte bei urzeitlichen Völkern eine Form der Überlebensstrategie dar. Diese Tätigkeiten liegen uns gewissermassen im Blut. Doch schon seit vielen Generationen sind die Menschen vor allem in den hoch entwickelten Ländern nicht mehr auf ein Dasein als Jäger und Sammler beschränkt – Nahrung kann auf ganz andere Weise beschafft werden. Dennoch übt gerade das Sammeln eine nach wie vor grosse Anziehungskraft aus und wird von vielen immer noch praktiziert. Steckt noch mehr dahinter?
Lassen wir das Sammeln von Panini Bildchen, Briefmarken, Schallplatten und dergleichen beiseite und widmen uns dem Sammeln als Kulturtechnik. Auch heute gelten wissenschaftliche Sammlungen als Basis weiterführender Forschungstätigkeiten. In Museen dienen sie der Wissensvermittlung für die allgemeine Bevölkerung. Kunstmuseen tragen kulturelle Schätze aus der Region oder spezifischen Stilrichtungen zusammen, katalogisieren, kuratieren und vermitteln.
Es mag gut sein, dass in diesen Zeiten auch Ihre Neigung zum Sammeln neu erwacht. Starten Sie Ihre eigene Kunstsammlung. Das geht heute auch ohne Geld, bequem von zuhause aus. Google hilft nicht nur beim Suchen im Netz. Es gibt von Google das internationale Projekt «Arts & Culture». Es enthält Werke aus unzähligen Museen und Sammlungen, die virtuell besucht werden können. Ein langweiliger Sonntag wird schnell zum kurzweiligen Kunsttrip durch weltumspannende Kunstsammlungen. Viel Spass beim Entdecken.
[1] Benjamin, Walter, Ich packe meine Bibliothek aus. Eine Rede über das Sammeln, in: Ders., Gesammelte Schriften IV,1, Frankfurt am Main 1972, S. 388-396; hier S. 389 [zuerst: Die literarische Welt, 17.7.1931/24.7.1931]