5. Mai 2020
Kunsthochschulen – staatlich subventionierter Müssiggang?
Was muss man sich heute unter einer Kunstausbildung vorstellen? Früher wurde Kunst in grossen Zeichen- und Malersälen unterrichtet. Die Student/innen standen hinter ihren Staffeleien und nahmen Kritik und Korrektur der Meister entgegen. Seit Joseph Beuys den erweiterten Kunstbegriff geprägt hat, sind diese Methoden mehrheitlich verschwunden. Was an dessen Stelle getreten ist, bleibt eher vage. Daher ist es nicht verwunderlich, dass kunstferne Personen diese Ausbildungsgänge oft als staatlich subventionierten Müssiggang sehen.
Versuchen wir den Nebel etwas zu lichten. Heute muss jede Künstlerin, jeder Künstler seinen eigenen Stil und Weg im Einklang mit sich selbst finden, um nach der Ausbildung im Haifischbecken der Kunstwelt nicht sogleich gefressen zu werden. Das Erlernen von künstlerischen Techniken wie das Zeichnen, Malen, Fotografieren sind diesbezüglich hilfreich aber nicht entscheidend. Ebenso wichtig sind die Fähigkeiten, unabhängig zu denken und die daraus entstehenden Begriffe, Standpunkte, Beobachtungen und Ideen in eine eigene visuelle Gestaltungssprache umsetzen zu können.
Diese Fähigkeiten zu vermitteln, ist nicht ganz einfach. Standardisierte Lehrmittel, pädagogische, didaktische Methoden und objektiv messbare Leistungen sind wenig hilfreich. Die Studierenden müssen ein hohes Mass an Selbstverantwortung übernehmen, denn es gibt kaum etwas Anspruchsvolleres, als sich der Herausforderung zu stellen, künstlerisch frei zu sein. «Jede Künstlerin, Schriftsteller, Musikerin weiss, dass nichts unbequemer, mühsamer und qualvoller und auch psychisch belastender sein kann als diese Freiheit, der sie ja erst einmal durch die eigene Arbeit einen Sinn und eine Struktur geben müssen.» [1]
Das stellt hohe Anforderungen an die Professoren/innen. Im Idealfall sind die Studienformen individuell und dialogisch. Wie erwähnt, in der Kunst gibt es keine verpflichtenden Stile und Techniken mehr – jedoch eine Vielzahl anderer, ungeschriebener Gesetze. Die Lehrenden bieten idealerweise eine individuelle Unterstützung bei der Suche nach dem eigenen Weg und Entwicklung des Selbstbewusstseins, was angesichts des knallharten Kunstmarktes wichtig ist.
Die Kunstausbildung ist mittlerweile an das zweistufige System mit Bachelor- und Masterabschluss angepasst. Das Angebot der Schulen ist vielfältig, die Student/innen können neben der freien Kunst weitere Fächer belegen. Sie sind gut gerüstet, um auch in anderen Berufen Fuss zu fassen.
Unsere Erfahrung zeigt, an Kunsthochschulen ausgebildete Kunstschaffende sind in der Regel intelligente, hart arbeitende, vielseitige und hoch motivierte Persönlichkeiten. Das Cliché vom untätig herumhängenden und bekifften Müssiggänger gehört endgültig ins Reich der Fabeln.
[1]
von Carsten Probst, Deutschlandfunk, 20.4.2020
Haben Kunstakademien heute noch einen Sinn?