4. Mai 2020
Wenn James Bond die weisse Flagge hisst, hat Barbara Kiener die Finger im Spiel
«#live 14:30 Performance Barbara Kiener #Schilthornpizgloria webcam schilthorn.ch» meldet ein pinkes Quadrat auf Instagram. Die Ansage zu ihrer Performance erreicht uns heute Sonntagnachmittag völlig überraschend.
Schnell den Link eingeben und – tatsächlich kommt das Drehrestaurant aus dem Bond-Film ins Bild. Aber wo ist Barbara Kiener? Auf einmal taucht eine weisse Gestalt auf, genau da ist sie ja, sie rollt eine grosse weisse Flagge aus und bewegt sie in bester Fahnenschwinger-Manier vor der grossartigen Bergkulisse. Ausser dem fix montierten James Bond – keine Menschenseele weit und breit.
Derzeit sind Webcams zur Beobachtung von Storchen- und Krähennestern beliebt, diejenigen auf den Berggipfeln oder in den Skigebieten sind eher weniger angesagt. Wir blicken ab und zu sehnsüchtig auf die Webcam eines Hafens an der Côte d’Azur und träumen ein wenig vom Meer. Der Einsatz dieser Geräte hat sich in Zeiten von «Stay at home» gewandelt, die Live-Übertragungen lassen uns von verwehrten Ausflügen träumen. Trotz Stillstand im Tourismus, laufen die meisten Kameras auch in den entlegenen Berggebieten munter weiter. Ohne Bedeutung filmen sie ins Leere, bis eine Künstlerin eine neue Sprache dafür findet.
Heute ist die Performance-Künstlerin Barbara Kiener aufs Schilthorn gestiegen und hat die einsame Webcam «Piz Gloria» für die Live-Übertragung ihrer Performance gekapert. Die Funktion der Webcam hat sich von Tourismus zur Bühne, respektive zum Hintergrund ihrer Performance gewandelt. Auf dem verschneiten Piz Gloria, ist sie in ihrem weissen Kleid und einer weissen Fahne zu sehen, die Sie in Anlehnung an traditionelle Folklore durch die Luft wirbelt. Als Metapher denken wir sofort an eine Waffenniederlegung in zweifacher Hinsicht – vor Corona und vor der in Beschlag genommenen Webcam. Das Fahnenschwingen hingegen bringt uns noch auf andere Ideen. Sehen Sie die Fotos unten. Diese stille Performance hat uns ebenso begeistert, wie ihre zuletzt eher laute im Blutturm in Bern, im Rahmen von Connected Space in Zusammenarbeit mit dem Kurator Michale Sutter.
Die Geste des Aufsteigens in ein entlegenes Gebiet erinnert uns an ihre Kunstaktion in Grindelwald. Letzten Sommer ist die ehemalige Skirennfahrerin und durchtrainierte junge Frau, mit sicher 20 kg Farbe im Rucksack, zum Helischopf am Grindelwaldgletscher aufgestiegen und hat den einstmals als Aussichtsplattform dienenden Kiosk pink angemalt.
Der schmelzende Gletscher hatte die Plattform längst zu einer unnützen Ruine verkommen lassen. Plötzlich leuchtete der pinke Kiosk als Mahnmal für den unübersehbaren Klimawandel. Das war zu viel für die Grindelwaldner Polit-Prominenz. Sie liess den von ihnen illegal erbauten, nun pinkig leuchtenden Kiosk per Helikopter abtransportieren. Barbara Kiener klagten sie wegen Sachbeschädigung an, ihr droht sogar eine Haftstrafe deswegen. Man merke; mit den Oberländern ist nicht zu spassen. Den Grindelwaldnern scheint der Verlust ihres Gletscher-Dorf Images sehr nahe zu gehen. Hoffen wir, die Mürrener reagieren mit etwas mehr Gelassenheit als die Grindelwaldner.
Barbara Kiener, Performance auf dem Schilthorn, Screenshot Webcam, Sonntag, den 3. Mai 2020
Kunstaktion Barbara Kiener
«der pinke Gletscherkiosk / Fuck me am Arsch der Welt»
Helischopf, Grindelwaldgletscher
Standort Kioskgebäude: oberer Grindelwaldgletscher / Wetterhorn / Helischopf
Farbe: Kalziumkarbonat / Gouache auf Wasserbasis
Performance
Barbara Kiener
identity
Blutturm Bern
2019
Foto: Sarah Michel