20. April 2020

Migros Kulturprozent – Marktforschung auf Kosten der Kulturschaffenden?

Zurzeit macht eine Ausschreibung von Migros Kulturprozent die Runde: «Neue Perspektiven – SlashArtist» lautet der Titel. Dazu die Aufforderung: «Jetzt Projekt einreichen.» Der Beitrag ist bereits mehrere tausend Male auf Facebook aufgerufen worden, stösst also bei Kulturschaffenden auf reges Interesse – es locken Projektbeiträge.

Werfen wir einen Blick von ausserhalb der Kulturszene auf die Ausschreibung. Was bitte ist ein SlashArtist? Übersetzt auf Deutsch, ein Schrägstrich-Künstler. Auch Google und Wikipedia helfen nicht weiter. Damit liegt die Vermutung nahe, dass es sich um etwas sehr «Zeitgenössisches» handeln muss, das nur Eingeweihten bekannt sein kann.

Studieren wir weiter den Ausschreibungstext. Es geht um «Neue Perspektiven» für das Schweizer Kulturschaffen. Dann folgt ein längerer Abschnitt mit gängigen Begriffen in «Kulturdeutsch» wie «Neue Perspektiven, Akteur*innen, Formate, Orte, Produktions- und Rezeptionspraktiken, Kulturlandschaft, zentrale Themen im künftigen Kulturdiskurs, der veränderten Rolle von Kulturschaffenden in der Gesellschaft usw.»

Und aufgepasst, jetzt kommt es; sowie den Orten, an denen Kultur in Zukunft rezipiert wird. Die Migros möchte also wissen, wo in Zukunft «die Musik» spielt: Wo planen Kulturschaffende in ihrer Vorreiterrolle die digitale oder analoge Zukunft, wo wird es cool sein – auch zum Online- Shoppen, wo zieht es künftig die Menschen hin oder besser gesagt, all die Konsument/innen?

Das möchten auch andere Firmen wissen. Die beauftragen indes teure Marktforscher/innen, um Konzepte zu erarbeiten. Im Gegensatz dazu wählt die Migros einen anderen Weg und führt eine verkappte Umfrage bei Kulturschaffenden durch. In der Menge an Projekteingaben werden sich zweifelsohne gute Ideen befinden. Vielleicht erhält eine Künstlerin oder ein Künstler die gute Nachricht, dass ihr Projekt unterstützt werde. Und was ist mit allen anderen? Erhalten Sie wenigstens Geld für ihre eingereichten Projekte? Na Ja? In den Richtlinien der «Förderbeiträge Kultur», unter Punkt 1.9 steht: «Der Entscheid für oder gegen einen Förderbeitrag wird durch ein Expert*innen-Gremium gefällt, wird schriftlich kommuniziert, ist endgültig und wird nicht begründet.»

Das ist für Kulturschaffende ernüchternd, die aufgrund der Ausschreibung ein Projekt einreichen, für das sie allenfalls viel Zeit und Geld investiert haben. Einmal mehr werden Kulturschaffende missbraucht. Sie sind auf Projekte angewiesen und werden von der Migros mit dem sinnbildlichen «Rüebli vor der Nase» zum Einreichen von Ideen animiert. Es wird sich auch kaum jemand dagegen wehren, denn wer wird schon die Hand beissen, die sie offenbar füttert.

Unser Vorschlag an die Verantwortlichen von Migros Kulturprozent: Bitte entschädigt jedes eingereichte Projekt mit mindestens CHF 500.- und zwar nicht nur, weil viele Künstlerinnen und Künstler zurzeit speziell darauf angewiesen sind, sondern um den Anteil der Marktforschung zu entschädigen.

Hier gehts zur Ausschreibung